Am Morgen des 25. Juni 1977
startet um 6.20 Uhr ab Flughafen Frankfurt eine Boeing 707,
Kennung D-ABUD, Taufname Nürnberg,
mit der Flugnummer LH5715 in Richtung Norden. An Bord sind etwa
140 Menschen, die auf Einladung des Veranstalters VDI
(Verein Deutscher Ingenieure) als geschlossene Gesellschaft
zum Nordpol fliegen dürfen.
Für den Erstflug muss
viel improvisiert werden. „Das war eine echte
Herausforderung. Damals gab es noch keine
Satellitennavigation.“, erinnert sich Hans-Dieter Zehelein,
„Und so dicht am Pol versagten unsere Kompasse.“
„Die drei Navigationssyteme (Inertiales
Navigationssystem, INS) an Bord zeigten in der Nähe des
Pols die roten Warnflaggen, da sie keine Daten mehr liefern
konnten, womit wir allerdings gerechnet hatten. Doch merkte ich mir
zuvor beim Hinflug zum Pol den Stand
der Sonne, die leicht schräg links hinter mir
stand.“, berichtet Zehelein.
120 Meilen vor dem Pol geht
der Pilot in den Sinkflug. Den Nordpol erreichen
Mannschaft und Passagiere um 13.04 Uhr. Wegen der
Druckkabine kann keine Flagge abgeworfen werden. „Um uns dennoch
am Pol zu verewigen, ließen wir zum Spaß durch eine Luke
Toilettenpapier ab. Durch den Unterdruck war die Rolle
bereits in etwa fünf Sekunden abgewickelt.“, so Zehelein.
Mit der B707 fliegt er erst
eine steile Links-, dann eine steile Rechtskurve in geringer Höhe um den Pol. „Wir tief wir wirklich
waren, verrate ich auch heute nicht.“, lacht der Kapitän.
„Danach orientierte ich mich wieder an der Sonne, die jetzt
leicht schräg rechts vor mir stand und den ungefähren
Heimweg wies. Nach einiger Zeit funktionierte das
Navigationssystem wieder ordnungsgemäß und lieferte genaue
Daten.“ Nur um fünf Grad muss der Kurs korrigiert werden.
„Aber es waren bange Minuten, ob das Navigationssystem nach
der Polpassage wieder korrekt arbeiten würde.“
An Bord dieses Fluges ist
auch die Presse. Ein Rundfunkreporter und eine
Zeitungsreporterin berichten live
aus dem Cockpit zu den meisten deutschen Radiostationen. Vom
Flugzeug aus wird eine Funkverbindung über Radio Stavanger
nach Deutschland geschaltet. Es ist Samstag, und so können
die heimischen Zuhörer an ihren Radios gebannt die Kreise
des Passagierflugzeuges am Pol verfolgen. Die
Sonntagszeitungen berichten tags darauf von der
fliegerischen Meisterleistung.
Nach dem Pol fliegt
Hans-Dieter Zehelein wieder auf dem kürzesten Weg -
Spitzbergen, Norwegen, Dänemark – nach Frankfurt zurück, wo
die Maschine um 17:40 landet. Elf Stunden und 20
Minuten dauert dieser arktische Aus-Flug.
Am
Frankfurter Flughafen gibt es bei der Rückkehr eine kleine Anekdote.
Zehelein: „Der Zöllner fragte uns Besatzung und Passagiere,
wo wir denn so ohne Gepäck herkämen.
‚Vom
Nordpol’
war unser aller Antwort! Der Zöllner fühlte sich, gelinde gesagt,
leicht auf den Arm genommen.“
„Bereits eine Woche später
flog erneut eine Boeing der Lufthansa zum Nordpol. Diesmal
hieß der Kapitän Werner Passarge.“, erinnert sich Zehelein,
„Danach stellte die Lufthansa die Nordpolflüge ein.“
Heute ist der Flug bzw.
sind die beiden Flüge in Vergessenheit geraten. Selbst die
Lufthansa reagierte vor einigen Jahren nicht auf die Bitte ihres
ehemaligen Flugkapitäns, anlässlich einer Berichterstattung
über einen neueren Nordpolflug von
airberlin in ihrer Hauszeitung an den Pionierflug von
1977 zum Nordpol zu erinnern. |