Nordpol
 
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Die schwarze Sonne - der Höhepunkt der Sonnenfinsternis in der Arktis am 1. August 2008 (Foto: Bill Kramer) .

 

Die Sonnenfinsternis in der Arktis

Wettrennen mit Sonne, Mond und Flugzeug

Das ist bestimmt keine gewöhnliche Sonnenfinsternis, wozu die Deutsche Polarflug geladen hat! So fliegt einsam und in der kalten Weite verloren ein Airbus A330-200 mit 160 Passagiern schon seit Stunden über das öde, aber durch seine Monotonie schon wieder faszinierende Packeis der Hocharktis. Hier in 12.000 Metern Höhe ist es mit minus 52 Grad lausig kalt und absolut lebensfeindlich. Nur die weißrote Aluminiumhülle des Flugzeuges schützt die Sonnenanbeter. 

Die Aufregung um das bevorstehende Ereignis ist schon lange vorher zu spüren. Die meist amerikanischen Teilnehmer des Sonnenfinsternisfluges laufen sichtbar erregt zwischen den Sitzen umher. Andere Passagiere legen sich merkwürdig gekrümmt mit Kameras, Fernrohren und Schutzgläsern vor den Kabinenfenstern auf den Boden, um bestmögliche Bilder zu schießen. Alles soll perfekt eingestellt sein für die etwa 180 Sekunden Finsternis; denn eine Wiederholung ist erst am 26. Januar 2009 möglich!

Schon Stunden vor dem Ereignis werden Schutzbrillen ausprobiert, Augen mit Mullbinden überklebt - damit während der Finsternis alles richtig beobachtet werden kann. Eine Stimme über Lautsprecher kündigt erst im Zehn-Minuten-Takt, dann jede Minute und zuletzt jede Sekunde das bevorstehende kosmische Ereignis an. Die Spannung steigt immer mehr!  Dabei hat sich der Mond bereits schon vor einer guten Stunde langsam von rechts oben her vor die Sonne geschoben. Vorne im Cockpit leisten jetzt die Computer von Kapitän Wilhelm Heinz und Wissenschaftler Dr. Glenn Schneider aus Arizona maximale Rechenarbeit. Das dreiminütige Wettrennen mit Sonne, Mond und Flugzeug steht unmittelbar bevor.

11:31 Uhr. Keiner der Passagiere darf mehr aufstehen, denn die hochempfindlichen Messgeräte der Wissenschaftler reagieren auch auf die Bewegungen der Passagiere. Die Blitze der Kameras sind mit schwarzem Klebeband abgeklebt, damit kein grelles Licht die Finsternis stört.

11:41 Uhr. Die letzte Minute vor der Totalen Finsternis – die Sonne beginnt sich jetzt merklich zu verdunkeln. Den Fluggästen auf der Sonnen abgewandten Seite stockt als Ersten der Atem. Denn von hinten links naht plötzlich ein riesiger Schatten. Das ist nicht bloß ein Schatten - da kommt was Bedrohendes, was Gigantisches. Wo vorher nur blauer Himmel und weißes Eis waren, scheint jetzt etwas Dunkles und Organisches hinter dem Airbus herzujagen. Das riesige Unheimliche holt die Maschine, die mit knapper Schallgeschwindigkeit fliegt, schließlich mit Leichtigkeit ein. Die Passagiere erschauern.

11:42 Uhr. Der Himmel verändert seine Farbe ins Stahlblaue. Fünfzig Sekunden vor der Totalen Finsternis ein erregter Ruf – die Venus! Der zweite Planet unseres Sonnensystems ist direkt bei der Sonne sichtbar! Zehn Sekunden vor dem Ereignis, die Stimme des amerikanischen Wissenschaftlers Dr. Glenn Schneider zittert vor Aufregung: „The corona is visible on the right! Here comes the diamond ring!“ Die Amerikaner auf der Sonnen zugewandten Seite kreischen vor Begeisterung „Greaaaat!!!“ Wie Diamanten blitzen die Sonnenstrahlen durch die Mondberge am Rande der schwarzen Scheibe auf. Nur noch das Klicken der Kameras ist im Rauschen der Triebwerke zu hören.

11.43 Uhr. Die Totale Finsternis hat begonnen! Die Totale Finsternis? Nein! Denn draußen herrscht ein flirrendes Zwielicht! Auf dem Eis werden Punkte, Linien und Striche wie Straßen auf einem unendlichen Stadtplan sichtbar. Ein eisiges, graues und scheinbar pulsierendes Netzwerk offenbart sich bis zum Horizont.

 

Gletscher, die ins Meer kalben, auf Spitzbergen.

 

Gigantisches Idyll an der Küste.

 

„Wie krieg' ich es am besten drauf?“ - Verrenkungen fürs beste Bild am Kabinenfenster...

 

... oder Eins werden mit dem Kosmos durch Meditation.

 
Durch den Flug im Finsternisschatten kann die Dauer der Totalen Finsternis fast verdoppelt werden. Der AirBerlin-Airbus A330-200 rast mit mehr als 900 Stundenkilometern auf das russische Archipel Franz-Josef-Land zu.

11:46 Uhr. Das kosmische Schauspiel ist beendet. Der Airbus dreht einige Meilen vor dem russischen Luftraum jetzt in Richtung Nordpol ab. Die Fortsetzung des solaren Diamantenringes findet sich besonders in den leuchtenden Augen der Amerikaner wieder, die die meisten Plätze auf der Steuerbordseite gebucht haben.  Über die Lautsprecher dankt Dr. Glenn Schneider überglücklich Piloten Wilhelm Heinz und der Crew für ihre gute und hochpräzise Arbeit. Stolz werden die Fotos auf den kleinen Bildschirmen der Digitalkameras gezeigt. That’s it!

An der Steuerbordseite sitzen auch Ursula und Stefan Meyer aus Weener bei Leer: „Es ist unsere fünfte Sonnenfinsternis, die wir beobachten. Doch es ist das erste Mal von einem Flugzeug aus. Das hat schon einen Gänsehauteffekt.“ Ursula Meyer hat einen Kompass mit dabei: „Doch hier am Pol dreht er nur noch durch.“

Aus Annapolis, Maryland, kommt Pete Jackson. Auch für ihn ist es die fünfte Sonnenfinsternis, aber es ist sein „erster Nordpol“. Als Mütze trägt er einen leeren Ball, auf dem die Sternbilder abgebildet sind. So kann ich an der Innenseite den aktuellen Sternenhimmel einstellen und betrachten.“, lacht der pfiffige Amerikaner mit den weißen Haaren.

Ein anderer Mützenträger ist Astronom Joe Rao aus Putnam Valley, New York. „We saw it!“ ist seine nüchterne Bilanz. Aber der Wissenschaftler von space.com lacht und freut sich! An seiner Mütze hängen viele Anstecker, alle von verschiedenen Sonnenfinsternissen.

Derweil will ein privater Fernsehsender im Interview wissen: „Was ist besser – Sonnenfinsternis oder Sex?“

 

Da naht von hinten links der Finsternisschatten!

 

Das Packeis während der fast dreiminütigen Dunkelheit.

 

Wie Stadtpläne mit großen Straßen zeigt sich das Oberflächenrelief der Eisschollen während der Finsternis.

 
Langsam kehrt Ruhe ein. Es heißt Luft holen. Dann eine gute Stunde der nächste Höhepunkt. Die Maschine erreicht den Nordpol! Manuel Kliese vom Veranstalter Deutsche Polarflug zählt herunter bis zum Erreichen des globalen Endpunktes: „… three, two, one and a half...“ Champagner wird zum Anstoßen gereicht. Jetzt sind besonders die Polenthusiasten angetan. Einigen Passagiern, die schon in der Vergangenheit mit geflogen sind, fällt im August die große Zerrissenheit des Packeises und die vielen offensichtlichen Pfützen auf dem Eis hier am Pol auf. Da, wo das Wasser wohl wieder an der Oberfläche gefroren ist, schimmert es in einem leuchtenden Blau durch. Das Ganze erinnert an riesigen Scheiben von weißen Nougat mit blauen Nüssen. Sanft dreht Kapitän Heinz in etwa 2.000 Meter Höhe ein paar Runden über den Nordpol, immerhin die kürzesten Weltumrundungen überhaupt. Veranstalter Sven Maertens, zum dritten Mal am Pol, freut sich: „Jetzt im August hatten wir eher Nebel am Nordpol befürchtet. Darum freuen wir uns für diese klare Sicht!“
 

Ganz genau der Nordpol!

 

Flugkurve nach backbord - das rissige Eis am Nordpol sieht aus wie weißes Nougat mit blauen Nüssen.

 

Vor der Finsternis betreibt Kapitän Heinz noch ein bisschen Rundflug über die arktische Inselgruppe Spitzbergen. Davon sind die Passagiere begeistert. Das Wetter spielt mit und bietet herrliche Panoramen. Auf dem Rückweg nach Düsseldorf zeigt sich sogar die eigentlich immer Wolken verhangene Bäreninsel mit einem kleinen Stück ihrer steilen Küste. Sie scheint den Polarfliegern zuzublinzeln. Nach genau zwölf Stunden landet das Flugzeug um 18.11 Uhr wieder am Flughafen.

 

Herrliche Blicke auf Spitzbergen.

 

Interessante Wolkenformationen in der Arktis.

 

Der blinzelnde Blick auf die Bäreninsel.

 
„Für diese zwölf Stunden Abenteuer haben wir sechs Monate intensiv gearbeitet.“, erzählt Karsten von dem Hagen von der Fluggesellschaft AirBerlin. „Aber dafür hat es sich gelohnt!“ Zeitgleich waren zwei weitere Flugzeuge im arktischen Luftraum wegen der Sonnenfinsternis unterwegs. „Auch hier mussten wir uns mit einem Flugzeug des norwegischen Militärs und einer ebenfalls norwegischen Passagiermaschine über Route und Höhe während des Durchfluges genau absprechen.“

An Bord ist wieder Michael Klomfass, der Autor des Sonnenfinsternisbuchs „Licht aus!“ und des Männerlexikons „Sexbomben und Feuerstühle“. Er hatte schon am ersten Nordpolflug teilgenommen und ist also quasi Stammgast: „Ist doch klar, dass ich nach meiner letzten Sofi in der libyschen Sandwüste jetzt auch in der arktischen Eiswüste dabei sein muss!“

Sebastian Schmitz von der Deutschen Polarflug: „So waren wir froh, als zweite Maschine heute Morgen um 6.11 Uhr vom Düsseldorfer Flughafen aus starten zu können. Eine Verspätung wegen einer möglichen Schlechtwetterfront hätten wir uns nicht leisten können. Eine Sonnenfinsternis nimmt darauf keine Rücksicht!“

 
Wissenschaftler Dr. Glenn Schneider im Cockpit bei Kapitän Wilhelm Heinz.
   
Mit Spaß und Kompass auf der Steuerbordseite: das Ehepaar Stefan und Ursula Meyer aus Norddeutschland.
   
Alle meine Finsternisse - Astronom Joe Rao hat sie an der Mütze.
   
Nein, nicht Knut, sondern Wilhelm mit Vornamen, Nachname Heinz, Pilot bei AirBerlin. 
   
Praktisch - die Sternenkarte auf dem Kopf- Pete Jackson aus Maryland.
 

Wo LTU draufsteht, ist AirBerlin drin - Gruppenfoto nach der Landung in Düsseldorf mit der Besatzung (rechts) und den 160 Passagieren.
 
Kurz und knapp...
 
... der Flug durch die Finsternis erfolgte bei etwa 82 Grad 35 Minuten Nord und 18 Grad 42 Minuten Ost und war vom Flugzeug aus für 2:55 Minuten zu beobachten. Die gesamte Finsternis konnte von Westgrönland bis China beobachtet werden.
 
... die Deutsche Polarflug hat ihren Sitz in Münster und veranstaltet seit Mai 2007 Nordpolflüge. Dies war der dritte Flug; der vierte ist für den 1. Mai 2009 vorgemerkt.
   
... die Inselgruppe Spitzbergen wird auch Svalbard genannt. Der Hauptort heißt Longyearbyen, 1906 benannt nach dem Gründer John Munroe Longyear. Dort wurde Kohle abgebaut.
   
... die Bäreninsel liegt zwischen Spitzbergen und Norwegen. 1898 wurde sie wegen ihrer Kohlevorkommen sogar kurzfristig von dem deutschen Polarforscher Theodor Lerner okkupiert. Die Russen kamen mit einem Panzerkreuzer, und die deutsche Regierung wusste von nichts. Vermutlich stürzte hier 1928 der norwegische Polarforscher Roald Amundsen ab.
 
... Stichwort Klimaschutz: Die Deutsche Polarflug, bekennt sich zu ihrer klimapolitischen Verantwortung. In Zusammenarbeit mit PrimaKlima-weltweit- e.V. erheben der Veranstalter eine zusätzliche Pauschale von mindestens 50 € für den Klimaschutz. Davon sollen je sieben Hektar Wald in Sachsen und  in Argentinien gepflanzt werden. Laut Veranstalter werden mit dieser Maßnahme das bis zu 20fache der klimaschädigen Auswirkungen des Fluges kompensiert. Die Fluggesellschaft AirBerlin betont zudem  die besonders geringe Emission des eingesetzten Airbus 330-200.
 
... Sonnenfinsternisse in der Arktis gibt es öfters. So beobachteten z. B. die Teilnehmer der Fram-Expedition (1893-96) unter Fridtjof Nansen  nördlich von Sibirien am 6. April 1894 eine Totale Finsternis. Sie benutzen die Finsternis u. a. dazu, um ihre Borduhren neu zu eichen. Wie das? Zwei Expeditionsteilnehmer beobachteten parallel durch Fernrohre den Eintritt der Finsternis. Da dieser Zeitpunkt genau bekannt war, verständigten sich die beiden Beobachter per Zuruf über den Beginn der Finsternis. So konnten die Borduhren korrigiert werden, die zu dem Zeitpunkt etwa sieben Sekunden abwichen.  
 
... warum nur 160 Teilnehmer auf dem Sofi-Flug? Weil die Wissenschaftler Platz für ihre Geräte brauchten und eine entspannte Atmoshäre an Bord herrschen sollte, wurden die meisten Mittelplätze frei gehalten.
 
... diese Finsternis war eine Totale Finsternis. Der Mond bedeckte mit 106 Prozent die Sonne. 106 Prozent? Ja, denn die Mondscheibe war etwas größer als die Sonnenscheibe und zwar genau 6 Prozent.
 
... der erste Mensch am Nordpol will 1908 der Amerikaner Frederick Albert Cook gewesen sein. Auch der Amerikaner Robert Edwin Peary beansprucht den Titel, der Erste gewesen zu sein, 1909 für sich. Selbst der Amerikaner Richard Evelyn Byrd kann seinen Flug 1926 nicht endgültig beweisen. Nachweislich waren dagegen 1926 der Norweger Roald Amundsen, der Italiener Umberto Nobile und der amerikanische Millionär und Finanzier Lincoln Ellsworth mit dem Luftschiff Norge am Nordpol.
 
... wieviel Uhr ist es am Nordpol? Der Nordpol ist internationales Gewässer; also gilt die Zeit, die der/die Polreisende mitbringt. Das führt zu folgendem Paradox, dass  sich z. B. ein Amerikaner mit Yukon-Zeit und ein Russe mit Kamtschatka-Zeit am Nordpol treffen: der Amerikaner am Dienstag um 6.00 Uhr am Pol ankommt, während der Russe ihm nach seiner Uhr am Mittwoch um 3.00 Uhr die Hand schüttelt. (Mehr Zeitzonen bei Zeitzonen.de)
 
... wie tief ist das Meer am Nordpol? Etwas mehr als 4.000 Meter.  Im August 2007 tauchten die Russen sogar mit einem U-Boot zum Grund. Damit wollten sie ihre Gebietsansprüche in der Arktis unterstreichen, weil hier riesige Erdölvorkommen vermutet werden.
 
Links -
Wer war der Erste am Nordpol? - Übersicht der historischen Nordpolforschung
 

Text und Fotos: Th. Bujack

(Mit Ausnahme des Sonnenfinsternisfotos von Bill Kramer, der dafür die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung gab.)
Veröffentlichung und Verbreitung nur mit Einverständnis des Autors!

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